MAGNETIZDAT DDR – Magnetbanduntergrund Ost
Im letzten Jahrzehnt der DDR fanden Punk und seine Verästelungen in Post-Punk, New Wave, Elektronischer Musik und Avantgarde-Rock oder -Pop auch in der DDR ihre Hörer:innen. Wer hörte, wollte oft auch mehr: bald wurden aus Konsumenten auch Produzenten. Zirkulierte das Material zuerst formlos, entstand ab 1984 eine sich selbst in Eigen-Editionen verlegende Kassettentäter-Szene, der Magnetbanduntergrund. Beziehungsweise ein Magnetizdat, wie jener in Ableitung von Samizdat und Tamizdat in der sowjetischen Gegenkultur hieß. Vervielfältigung, Vertrieb oder gar Verkauf waren und blieben allerdings illegal. Umso erstaunlicher, dass im Jugendradio DT64 mit der Sendung „Parocktikum“ ein Forum für diese Sounds existierte, über das sogar die Bezugsadressen verteilt wurden. Wer keinen Zugang zu westlichen Leerkassetten hatte, war dabei auf die verhältnismäßig teuren Magnetband-Produkte von ORWO angewiesen, um sich hörbar zu machen. Wobei Musik nur ein Ausdrucksmittel war, denn Multimedialität hieß das Gebot der Stunde. Literaten ließen sich von Bands befeuern, Musiker entdeckten Barock- und Experimentallyrik, Super8-Filmer und bildende Künstler griffen zum Mikrofon und bildeten ein Geflecht, das später international renommierte Band- und Labelprojekte wie Tarwater, To Rococo Rot und Raster-Noton hervorbrachte. Zurück blieben die klingenden Artefakte von Formationen wie AG. Geige, Der Expander des Fortschritts, Tom Terror & Das Beil, Herr Blum, Das Freie Orchester, Die arroganten Sorben, Die Gehirne, Ornament & Verbrechen, Neu Rot, Klick & Aus, Die Firma, The Oval Language, Die Art, Tropenkoller, Kriminelle Tanzkapelle, Heinz & Franz, Papierkrieg, Gefahrenzone, FO32 Extra hart arbeitendes Rastermaterial für Kontakt, The Local Moon, Kaltfront, Freunde der italienischen Oper, Fanatische Frisöre, Neuntage Alt, 3 Tot, Corp Cruid, Knut Baltz Formation u.v.a.m. – die nun wieder zugänglich gemacht werden.
Unter Bezug auf das Buch „Magnetizdat DDR. Magnetbanduntergund Ost 1979-1990“, herausgegeben von Alexander Pehlemann, Ronald Galenza und Robert Mießner (Verbrecher Verlag, 2023) und die gleichnamige Triple-LP-Compilation bei Edition Iron Curtain Radio